Neue Heimbrauer. Und Heimbrauerinnen.

Neue Heimbrauer und Heimbrauerinnen, Martina Stoll ist eine von ihnen.

Das relativ junge Hobby, eigenes Bier zu brauen, wurde während der Pandemie von
vielen intensiviert.

»Ich habe während der Gärung ständig in den Eimer geschaut, was grad passiert, weil ich es einfach nicht ausgehalten habe.«

Martina Stoll

Wie die erste Liebe, vergisst man auch das erste eigene Bier nicht. »Ich habe während der Gärung
ständig in den Eimer geschaut, was grad passiert, weil ich es einfach nicht ausgehalten habe«,
sagt Martina Stoll. Das Resultat war »sicher das beste Bier, das ich jemals gebraut und getrunken
habe. Weil es das erste eigene Bier war. Der Stolz, mit dem ich es jedem präsentiert habe,
ist unvergessen.« Brauen ist eine Leidenschaft, der man schnell verfallen kann. Sein Bier selbst
herzustellen, hat noch mal eine ganz andere Qualität, als nur zu konsumieren. Es vertieft die
Beziehung zum Lieblingsgetränk ungemein, wenn man miterlebt hat und weiß, wie dieses
entsteht. Der ganze Prozess ist fantastisch: Zu sehen, wie die Verwandlung abläuft, wie aus
Wasser, Malz, Hopfen und Hefe am Ende ein – im Idealfall – grandioses Getränk wird, hat beinahe
etwas von einem religiösen Erlebnis. Es macht süchtig.

Gäreimer und Akku-Schrauber

»Ich mag gerade, dass ich es freiwillig mache. Wenn das Brauen zum Teil das Leben finanzieren muss, ist es halt auch wieder ein Job. Das wäre mir zu schade.«

Martina Stoll

Martina Stolls Erinnerung an ihre Braupremiere ist noch so frisch wie ein Jungbier. Sie zählt zu
jenen, die Homeoffice und Freizeit während der Pandemie sinnvoll nutzten und das Brauen für
sich entdeckten. Im Herbst 2020, als der zweite Corona-Lockdown langsam absehbar wurde, hat
sie sich an ihrem ersten Sud versucht.
Die Niederösterreicherin, die in einer Werbeagentur arbeitet, entpuppt sich im Gespräch als Frau
der Tat: »Ich habe mir im Metro einen 35-Liter-Topf gekauft, sowie einen Akku-Schrauber und
einen Rührer, mit dem man normalerweise Farbe anrührt. Als Gäreimer nehme ich einen
Plastikkübel. So habe ich losgelegt.« Ein schneller Entschluss war das Ganze allerdings nicht. Ihre
Liebe zum Bier dauert bereits länger an und hat sich durch den Craft-Bier-Boom der letzten Jahre
noch intensiviert. Sie gilt vor allem »individuellen und ein bissl besonderen Sorten«, wie sie
erzählt. Vorgehabt habe sie das Brauen schon lange. »Was mir gefehlt hat, war die Zeit und die
letzte Initialzündung. Und ich habe mir auch gedacht: Das kann ich nicht, das ist zu viel
Aufwand.«Wer Glück hat, kennt jemand, der selbst braut und einen mal mitmachen lässt. Das
erspart viele Leerkilometer und AnfängerInnenfehler, die dazu führen, dass so mancher
Brauversuch im Ausguss landet. Im Fall von Martina Stoll war es ein alter Freund, der ein
erfahrener Hobbybrauer ist und sie zu einem gemeinsamen Brautag einlud. Die Erfahrung
bestärkte sie in ihrem Entschluss: »Ich kann das auch. Zumindest kann ich es probieren.«
Der erste Sud war ein voller Erfolg. Alle, die vom Resultat kosten durften, bekräftigten die
Neobrauerin weiterzumachen. Sicher auch nicht ganz uneigennützig. Martina Stolls Output im
letzten Dreivierteljahr war gewaltig. Wöchentlich wirft sie zu Hause ihre improvisierte kleine
Brauanlage an, um die Durstigen nicht zu enttäuschen.
»Die Motivation ist, dass der Eigenbedarf immer gedeckt ist«, sagt sie. Jedes Mal kommen
ziemlich genau 20 Liter Bier heraus, also zwei Kisten, rechnet Stoll vor. So viel sei das gar nicht.
»Wir trinken selbst einiges davon. Dazu kommt der kleinste Familien und
Freundeskreis, der profitiert. Und man darf nicht vergessen: Ich arbeite in einer Werbeagentur,
da ist Alkohol auch immer willkommen.« Das Ergebnis ist der flüssige Lohn der Brauerin.
Gleichzeitig gilt: Der Weg ist das Ziel. Wer den Prozess nicht genießt, wird nicht lang dabeibleiben.
Für die Werberin ist das Brauen der Ausgleich zu ihrem Bürojob. Am Ende hat man etwas in der
Hand, das man noch dazu trinken kann. »Das kann man nicht mit einer Facebook-Kampagne
vergleichen«, meint sie. »Es ist etwas Essenzielles.« Wegen ihres beruflichen Backgrounds wurde
sie natürlich schnell gefragt, ob sie nicht ein schickes Etikett entwerfen und ihr Hobby
kommerzialisieren wolle. Die meisten kleinen Craft-Breweries
werden von ehemaligen HeimbrauerInnen gegründet, die ihr Handwerk auch mal am Kochtopf
begonnen haben. Bei ihr soll Bier jedoch Hobby bleiben: »Ich mag gerade, dass ich es freiwillig
mache. Wenn das Brauen zum Teil das Leben finanzieren muss, ist es halt auch wieder ein Job.
Das wäre mir zu schade.«

Keine Ablenkung und laute Musik

Sie geht meist am Abend nach der Arbeit ans Werk. Ihre Brau-Sessions beschreibt sie als
schönes, erdendes Ritual. Laute Musik gehört dazu und auch das eine oder andere zuvor
Selbstgebraute darf währenddessen getrunken werden. Ansonsten gibt es nur die Brauerin und
ihren Topf. Ablenkungen wie Mails lesen oder Wäsche aufhängen erlaubt die Arbeit mit ihrem
einfachen Set-up nicht: »Ich muss mich ganz auf die eine Sache konzentrieren. Das ist gut zum
Runterkommen. Auch wenn es manchmal mühsam ist und ich um Mitternacht immer noch
dabeistehe.« Und länger. Nach dem Hopfenkochen soll der Brausud möglichst schnell abkühlen,
im Winter hat sich die Brauerin den Wecker daher mitunter auf 4 Uhr gestellt, um die Hefe
einzurühren. Tja: »Man muss es schon wollen.«
Ein paar Lieblingssorten zeichnen sich bereits ab. Für Frauenrunden braut Stoll gern ein Belgisch
Blond – »ahnlich dem Leffe, gehaltvoll, aber sehr süß«. Die Männerwelt delektiert sich vor allem an
ihrem tschechischen Lager. Sowie überhaupt an der Tatsache, dass sie als Frau braut: »Bei
Männern kann man damit ziemlich punkten. Es taugt ihnen voll und man hat gleich eine
Gesprächsbasis.« Die Hobbybrauerin reist gern und war vor Corona seltener daheim als auf
Bergen oder Campingplätzen anzutreffen. Jetzt, wo sich der Bewegungsradius wieder erweitert,
wird das ein bisschen auf Kosten des Biers gehen. Aber Martina Stoll wird auf jeden Fall weiterhin
brauen und will sich irgendwann vielleicht eine richtige Anlage anschaffen.

Zweitgerät als Gönnung

»Bei den teuren Neugeräten merkt man das weniger als am Zubehör, aber viele, die bereits vor der Pandemie gebraut haben, nutzten die Lockdowns um ihr Hobby auszubauen und investierten in Zubehör. Manche gönnten sich auch ein Zweitgerät.«

Ralf Leukart, Speidel
Ralf Leukart
©Speidel

Dann könnte sie bei Ralf Leukart anklopfen. Der freundliche Schwabe ist im Vertrieb des
Familienunternehmens Speidel tätig, das laut Eigendarstellung »Behälter aus Leidenschaft« fertigt:
Gärfasser und Lagertanks. Am bekanntesten ist Speidel für seinen »Braumeister«, auf den viele
Heimbrauer setzen. Bei dem Gerät findet der ganze Brauvorgang bequem in einem einzigen
Behälter statt. Bei der neuesten Version ist neben einer vollautomatisierten Steuerung nun auch
WLAN integriert.
Die Marke Speidel steht an sich nicht für Innovation, sondern Beständigkeit. Dass das Brauen
immer hochtechnisierter wird, sieht Leukart ambivalent: »Das Bier wird dadurch nicht besser.
Unsere Geräteverarbeitung in Edelstahl ist bei den meisten Kunden nach wie vor das größte Plus.
Aber wir bekommen tatsächlich sehr viele Anfragen, die zum Beispiel die Steuerung betreffen.
Was davon sinnvoll und machbar ist, übernehmen wir, manches ist aber auch nur für den einen
speziellen Kunden wichtig. Wenn wir alles umsetzen würden, wäre das Gerät irgendwann nicht
mehr bezahlbar.«
Speidel ist sowieso schon im Hochpreissegment angesiedelt. Das Unternehmen gehört zu den
GewinnerInnen der Corona-Zeit. Bei den teuren Neugeräten merkt man das weniger als beim
Zubehör, aber viele, die bereits vor der Pandemie gebraut haben, nutzten die Lockdowns um ihr
Hobby auszubauen und investierten in Zubehör. Manche gönnten sich auch ein Zweitgerät.

Der Braumeister von Speidel, Homebrewing Zubehör.
— Der Braumeister von Speidel. — ©Speidel

Neue Dynamik

»Unmittelbar vor dem ersten Lockdown war Malz fast so begehrt wie Klopapier im Supermarkt. Nach zwei, drei Tagen waren wir ausverkauft.«

Alexander Beinhauer, Mash Camp

Generell ist das Heimbrauen in unseren Breiten noch ein sehr junger Trend. Deutschland und
Österreich sind für Speidel anfangs als Märkte gar nicht interessant gewesen. Die meisten
»Braumeister« gingen früher in die USA, nach Australien oder Skandinavien. »In Norwegen ist es
so extrem, da ist der Markt praktisch gesättigt«, so Leukart.
Im deutschsprachigen Raum kam das Selberbrauen parallel mit der stärkeren Sichtbarkeit von
Craft-Bier um 2013 langsam auf. Zwar habe es auch zuvor schon eine Heimbrauszene gegeben,
»aber das waren noch richtige Bastler. Leute mit einem ›Braumeister‹ haben die despektierlich als
Anzugsbrauer bezeichnet.« Nachsatz: »Diese Brauer der ersten Stunde sind auch reifer und
bequemer geworden, mittlerweile zählen wir einige zu unseren Kunden.«
Der Hobbybrausektor hat sich in den letzten Jahren verändert und der Markt an Dynamik
gewonnen. Kam man als ambitionierte/r HeimbrauerIn mangels Alternativen lange gar nicht am
»Braumeister« vorbei, so gibt es inzwischen einiges an Wettbewerb, wie etwa den »Grainfather«
aus Australien. Vieles davon ist günstiger zu haben und dadurch ein niederschwelliger Einstieg.
Auch Alexander Beinhauer hat von der Krise profitiert. Unmittelbar vor dem ersten Lockdown war
Malz bei ihm fast so begehrt wie Klopapier im Supermarkt erinnert er sich: »Nach zwei, drei Tagen waren
wir ausverkauft. Die Leute glaubten, wir müssen zusperren, und haben es säckeweise
rausgetragen. Aber weil wir vorrangig Lebensmittel verkaufen, waren wir zum Glück immer offen.«
Zusammen mit Johannes Grohs betreibt er in Wien einen Shop namens Mash Camp. Wer selbst
Bier brauen will und in der Hauptstadt zu Hause ist, kommt daran fast nicht vorbei. Beinhauer
fielen zwei Dinge auf: »Die Stammkunden saßen zu Hause und hatten auf einmal Zeit, sie brauten
mehr. Und nach ein, zwei Monaten merkten wir auch das Interesse von Neukunden.«
Der Heimbraumarkt wächst nicht erst seit Corona. Aber: »Es hat den Trend zum Selbermachen
noch verstärkt. Wir verkaufen viele Starter-Sets mit Anleitung zum Bierbrauen in der Küche. Die
Leute wollen sich mal anschauen, wie Bierbrauen geht, ohne gleich teures Equipment
anzuschaffen. Das war in allen Lockdowns so.« Der momentane Boom wird sich wieder legen,
prognostiziert Beinhauer, der selbst als Student an der TU Wien zum Bier fand und mehrfacher
Staatsmeister im Hobbybrauen ist. Aber wer einmal zu brauen begonnen hat, bleibt in der Regel
auch dabei: »Es ist ein beständiges Hobby.« Manche StammkundInnen seien inzwischen
eingerichtet wie eine professionelle Brauerei. Mit dem Unterschied, dass sie nur
50 Liter produzieren.
Die Mash-Camp-StammkundInnen sind für gewöhnlich Männer. Brauerinnen wie Martina Stoll die
Ausnahme. Der Frauenanteil unter den KundInnen sei immer noch sehr gering, »in Prozent
gesehen verschwindend«. Den Hauptgrund dafür macht Beinhauer darin aus, dass Bier speziell in
Österreich immer noch ganz klar das Image eines Männergetränks habe, was auch an der
Werbung liege. Hier sei noch einiges zu tun.
Noch wichtiger ist ihm, dass Bier insgesamt eine Aufwertung erfährt und mit einem anderen
Bewusstsein konsumiert wird. Wer selbst braut, bei dem passiere das automatisch: »Man lernt
das Thema Bier dadurch noch einmal ganz anders kennen und kriegt eine extreme Wertschätzung
für Craft-Bier und den Aufwand handwerklicher Brauereien.«

Homebrewing Zubehör von Mash Camp..
— Die Hersteller reagieren auf die große Nachfrage und präsentieren eine große Breite an Brauzubehör. — ©Mash Camp GmbH