Vintage-Biere – die richtigen Biere zu Hause richtig reifen lassen

Während etwa 99 % aller Biere frisch abgefüllt am besten schmecken, profitiert das verbleibende Prozent von einer weiteren Lagerung über die der Brauerei hinaus. Diese Biere können teilweise über mehrere Jahre reifen und entwickeln im Laufe der Zeit eine Komplexität und ein Aromenspektrum, zu denen junge Biere nicht in der Lage sind. Nachdem wir in Ausgabe 18 bereits einen Blick auf die sogenannten Vintage-Biere geworfen haben, wollen wir in dieser Ausgabe noch einmal etwas genauer hinsehen und euch ein paar Tipps für das eigene Lager an die Hand geben.

Bier ist ein Frischeprodukt, schmeckt am besten frisch aus dem Tank und sollte so rasch wie möglich genossen werden – so die gängige Meinung. Und für den Großteil aller Biere ist dem auch so. Die allermeisten Biere schmecken am besten, unmittelbar nachdem sie den Lagertank oder die Brauerei verlassen haben. Alter – und das sind bei vielen Bieren bereits wenige Wochen – steht ihnen nicht gut. Pilsner Biere sind ein schönes Beispiel dafür. Frisch abgefüllt bestechen sie durch feine Hopfenaromen und -bittere, eine leichte Malzsüße und einen schlanken, aber spritzigen Körper. Ein gut gebrautes, frisches Pils ist durch und durch erfrischend. Mit der Zeit schwinden diese Attribute allerdings und an ihrer statt macht sich ein Geschmack breit, der an nasse Pappe, manchmal auch an Tee erinnert. Die prickelnde Frische schwindet, das Bier wird dünn, schal und eindimensional pappig-süß. Kurzum, es wird ungenießbar. Doch während eine Alterung den allermeisten Bieren zum Nachteil gereicht, gibt es auch einige Biere, die sich mit der Zeit zu ihren Gunsten entwickeln und bei denen negative Alterungsaromen – sofern überhaupt vorhanden – von positiven Eigenschaften überlagert werden. Bei diesen Bieren ist die Alterung erwünscht und sie werden bewusst Monate, manchmal sogar Jahre oder gar Jahrzehnte lang gelagert. In dieser Zeit werden die Biere komplexer und es entwickeln sich ansprechende Alterungsaromen, die in jungen, frisch abgefüllten Bieren nicht vorkommen. In diesem Zusammenhang wird im Deutschen auch häufig von einer Reifung oder einem Reifungsprozess gesprochen. Die gelagerten Biere werden als Vintage-Biere oder Jahrgangsbiere bezeichnet.

— Georg Schneider VI. vor den Kisten mit Aventinus, die drei Jahre lang im Brauereikeller lagern werden. — © Schneider & Sohn GmbH

Die bewusste Alterung von Bieren ist zwar kein neues Phänomen und wird bei bestimmten Bierstilen schon seit mehr als 1000 Jahren praktiziert, allerdings sind viele Prozesse der Reifung nach wie vor unerforscht. Von daher kann man hier nicht von einer Reifungswissenschaft oder dergleichen sprechen. Zudem bleiben die Ergebnisse einer Alterung trotz einer gewissen qualitativen Messbarkeit immer zugleich auch subjektiv. Was den meisten Menschen mundet und auch von den aromatischen Komponenten her gut harmoniert, mag dennoch für andere ungenießbar sein und umgekehrt. Aber letztendlich bleiben ja auch frisch abgefüllte Biere bei aller Qualität stets Geschmackssache. Verantwortlich für die Alterung von Bier ist eine Reihe von chemischen Prozessen, die hauptsächlich von im Bier verbliebener lebendiger Hefe und Sauerstoff in Gang gesetzt werden. Aber auch äußere Faktoren wie Licht und Temperatur haben Einfluss auf den Alterungsprozess. Wenngleich viele chemische Prozesse der Reifung noch unbekannt sind, gibt es doch auch einige bekannte Faktoren. Die Komponenten eines Bieres, die sich im Laufe der Zeit verändern werden, sind Malz, Hopfen, Hefe-Ester und -Phenole, Alkohol, Oxidation und – so vorhanden – Holz und Mikroflora. Je mehr man über diese Komponenten und ihre aromatische Veränderung im Verlauf der Zeit weiß, desto besser kann man das Reifungspotenzial eines Bieres und seine Veränderung einschätzen. Als grobe Faustregel kann man sich merken, dass starke, malzbetonte Biere und viele wilde und saure Biere von einer weiteren Lagerung im heimischen Bierkeller profitieren.

— Der ehemalige Eiskeller der Brauerei Schneider Weisse. — © Schneider & Sohn GmbH

Mit einigen Ausnahmen besitzen obergärige Biere besseres Vintage-Potenzial als untergärige. Wie lange ein Bier reifen kann oder sollte, hängt sowohl von der Beschaffenheit des Bieres als auch von der persönlichen Vorliebe ab. Während sich ziemlich gut vorhersagen lässt, in welche Richtung sich das Bier aufgrund seiner Zutaten und Charakteristika mit der Zeit verändern wird, kann es im Laufe der Zeit sehr verschieden schmecken, da nicht alle Alterungsprozesse gleichzeitig ablaufen beziehungsweise jeder einzelne bestimmte Stadien durchläuft. Es gilt also nicht die Devise »Je älter, desto besser«. Vintage-Bier-Experte Patrick Dawson, der das wohl bislang ausführlichste Buch zum Thema Vintage-Bier geschrieben hat, ist der Ansicht, dass jedes Bier ein eigenes und relativ kurzes Zeitfenster habe, in dem es sich bestmöglich entwickelt hat, und ergänzt: »Um dieses Fenster zu finden, muss man die Eigenschaften eines Bieres kritisch prüfen und wissen, wie sie sich möglicherweise verändern. Man muss jedoch bedenken, […] dass das optimale Zeitfenster für jeden anders ist, und man muss wissen, wonach man bei einem Bier sucht.« Die meisten Biere mit Alterungspotenzial profitieren von einer kurzen zusätzlichen Reifung von ein paar Monaten bis zu einem Jahr. Nur eine Handvoll Bierstile eignet sich für eine mehrjährige Lagerung. Old Ales, Barley Wines (sowohl die englische Variante als auch die fruchtigere US-amerikanische), Imperial Stouts, belgische Quadrupel sowie die spontanvergorenen und sauren Biere wie Gueuze und Flanders Red und Brown Ale fallen in die Kategorie der Biere mit besonders langem und gutem Reifungspotenzial. Aber auch Rauchbiere, Baltic Porters, belgische Dubbels und Tripels sowie Doppelbockbiere und Wild Ales eignen sich häufig für die längere Lagerung zu Hause. Auch der Ort, an dem die Biere lagern, spielt eine entscheidende Rolle. Die wichtigsten Faktoren sind hier Temperatur, Licht und Luftfeuchtigkeit. Bier sollte kühl, dunkel und nicht zu trocken lagern. Wird Bier zu warm gelagert, reift es zu schnell. Ist es hingegen zu kalt, kommen die Reifungsprozesse nur schwerlich in Gang. Für Rotwein haben sich 13 °C als optimale Reifungstemperatur erwiesen. Obwohl entsprechende Studien für Bier nach wie vor fehlen, lagern die meisten Bierliebhaber auch ihre Vintage-Biere bei dieser Temperatur. Größere Temperaturschwankungen sollten vermieden werden, damit chemischen Prozesse ununterbrochen ablaufen können. Hat man also die Wahl zwischen einem kühleren Ort, der aber großen Temperaturschwankungen unterliegt, und einem etwas wärmeren mit stabiler Temperatur, sollte man sich für letzteren entscheiden. Als Nächstes sollte man darauf achten, das Bier dunkel zu lagern. Licht ist immer schlecht für Bier, da es Hopfenaromen in eine Richtung zerlegt, die als »Lichtgeschmack« bekannt ist und von den meisten Menschen als unangenehm empfunden wird. Während Temperatur und Licht wesentliche Faktoren für die optimale Bierreifung sind, spielt die Luftfeuchtigkeit eine untergeordnete Rolle, da Bierflaschen im Gegensatz zu Wein selten einfach verkorkt werden. Naturkork kann bei zu geringer Luftfeuchtigkeit austrocknen. In der Folge verdunstet ein Teil des Bieres. Die Menge fehlenden Bieres wird auch als »Ullage« bezeichnet. Der Platz des verdunsteten Bieres wird mit Sauerstoff aus der Umgebungsluft ersetzt, was wiederrum zu einem beschleunigten Alterungsprozess
führt. Gerade bei Flaschen, die viele Jahre oder gar Jahrzehnte gelagert werden, kann dies zu einem nicht unerheblichen Flüssigkeitsverlust, und –infolge der beschleunigten Oxidation – zur Ungenießbarkeit des Bieres führen. Hier hilft Wachs, um den Korken vor der Lagerung zu versiegeln. Wild Ales können auch horizontal gelagert werden, da wilde Hefen – im Gegensatz zu den gängigen Bierhefen – oft jahrelang aktiv sind und damit den Sauerstoff in der Flasche verstoffwechseln können, sodass die größere Berührungsfläche mit dem Sauerstoff dem Bier nicht zum Nachteil gereicht. Alle nicht wilden Biere sollten hingegen stehend gelagert werden.

— Die »Samichlaus Wunderkammer« dient der Jahrgangsreife des Samichlaus und ist Lagerort besonderer Raritäten. — © Andreas Balon

Typischerweise bietet ein Keller die besten Bedingungen für die heimische Bierlagerung und -reifung. Aber das heißt nicht, dass man nun unbedingt über einen Keller verfügen muss, um Biere gut zu lagern. Wichtig ist vor allem, einen dunklen Ort unter 20 °C zu finden, der keinen großen Temperaturschwankungen unterliegt. Sollte kein Keller zur Verfügung stehen, tut es auch der Schrank. Hier können die Biere zusätzlich in eine Styroporkiste oder Ähnliches gestellt werden, um sie etwas besser von der Umgebungsluft zu isolieren und die Temperatur möglichst konstant zu halten. Damit die mühevoll ausgewählten und oftmals für teures Geld erworbenen Biere nicht an ihrem Lagerort in Vergessenheit geraten und womöglich über die für sie optimale Reifezeit hinaus altern, lohnt es sich, Protokoll zu führen. Ob per Hand, Excel oder App spielt dabei keine Rolle. Hauptsache, man behält die Übersicht und muss sich später nicht über vergebene Mühe ärgern. Das Reizvolle an der über die von der Brauerei beabsichtigte Reifung hinausgehenden Lagerung von Bieren besteht vor allem in den fantastischen Aromen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln können und die so in keinem frischen Bier zu finden sind. Darüber hinaus fühlen sich viele Vintage-Fans für das oftmals begeisternde Endergebnis einer Hauslagerung mitverantwortlich. Ob das stimmt, ist vielleicht diskutierbar. Fraglich ist auch, ob die BrauerInnen damit einverstanden sind. Aber für das Gefühl selbst spielen diese Faktoren keine große Rolle. Ein gereiftes Bier aus dem eigenen Keller zu zaubern, behutsam die in Staub manifestierte eigene Geduld von den Flaschen zu wischen, in gespannter Vorfreude ob der bevorstehenden Aromen – das ist etwas, das weder wissenschaftlicher Grundlage noch Billigung der Brauzunft bedarf, um großartig zu sein und süchtig zu machen.

— Einige Hundert Kisten lässt Schneider Weisse jährlich zum »Aventinus Vintage« reifen. – © Schneider & Sohn GmbH

Altern, Reifen, Lagern?

Während im englischen Sprachraum zwischen »aging«, »maturation« und »staling« unterschieden wird, wobei »aging« die gewollte Alterung, »maturation« die Nachgärung in der Brauerei und »staling« die Entstehung unerwünschter Aromen meint, werden im Deutschen die Begriffe »Lagerung«, »Reifung« und »Alterung« im Kontext von Vintage-Bieren häufig synonym benutzt. Tatsächlich passen häufig alle drei und eine eindeutige Abgrenzung zwischen ihnen ist schwer bis unmöglich. Üblicherweise ist der Begriff der Alterung in Bezug auf Bier im Deutschen jedoch negativ besetzt. Er wird mit unerwünschten Aromen und Qualitätsverlust in Verbindung gebracht. Besser geeignet scheint deshalb grundsätzlich der Begriff der Reifung, die im Grunde eine gewünschte Alterung umschreibt und deshalb positiv besetzt ist. Lagerung beschreibt den Reifungsprozess eines Bieres nach der Hauptgärung – entweder in der Brauerei bis zur Abfüllung des Bieres oder aber darüber hinaus bis zum Öffnen und Genuss des Bieres.

Auf einen Blick:

Was?
Vor allem malzbetonte Starkbiere, saure und wilde Biere.

Wo?
Am besten im Keller, zur Not tut es auch ein Schrank. Wichtig: große Temperaturschwankungen vermeiden und lichtgeschützt lagern.

Wie?
Stehend lagern; nur Biere mit wilden Hefen liegend lagern.

Wie lange?
Das kommt auf das Bier und den eigenen Geschmack an. Die meisten Biere profitieren von einer kurzen zusätzlichen Reifung von bis zu einem Jahr. Einzelne Biere haben aber auch nach vielen Jahren noch Charakter. Hier gilt: studieren durch Probieren.

Drei gut erhältliche Kellerklassiker:

Ein Samichlaus Classic der Brauerei Schloss Eggenberg.

Schloss Eggenberg Samichlaus

Dieser österreichische Nikolausklassiker ist ein Doppelbock mit 14 Vol.-% und eines der wenigen untergärigen Biere, die sich hervorragend für die weitere Reifung zu Hause eignen. Das Bier ist bei Abfüllung bereits zehn Monate in der »Samichlaus Wunderkammer«, dem ältesten Keller der Brauerei, gelagert worden. Zu diesem Zeitpunkt punktet das Bier mit Aromen von Toffee, karamellisiertem Zucker und Schokolade, die allerdings hinter einer gehörigen alkoholischen Schärfe versteckt sind. Diese Schärfe verfliegt nach ein paar Jahren Reifung und stattdessen kommen nun Rosinen- und Sherry-Aromen zum Vorschein. Das Samichlaus soll auch nach 15 Jahren noch erstaunlich rund und vollmundig sein, mit Noten von gedörrten Pflaumen, Tabak, und Madeira- Wein.

Schneider Weisse Aventinus

Der nach Aussage der Brauerei älteste Weizendoppelbock Bayerns und ein echter Kellerklassiker. Sogar die Brauerei lässt jährlich einige Hundert Kisten des Aventinus in ihren Eiskeller wandern und sie dort für drei Jahre reifen. Verkauft werden diese Flaschen dann als Aventinus Vintage. Das frisch abgefüllte Bier mit 8,2 Vol.-% ist vor allem für seine Hefearomen nach getrockneten Früchten wie Backpflaumen und Rosinen, Nelke, Banane, Vanille und eine vom Weizen kommende brotige Note bekannt, um die der wahrnehmbare Alkohol eine wärmende Klammer legt. Im Laufe der Zeit verschwinden die würzigen Aromen. Nach vier bis fünf Jahren sind Vanille und Sherry tonangebend, wobei auch die Steinfrüchte noch wahrnehmbar und schön eingebunden sind. Das Aventinus ist zu diesem Zeitpunkt deutlich süßer, dabei unglaublich komplex und absolut rund. Ab etwa sieben Jahren dominiert Sherry das Aroma und das Bier wird zusehends dünner.

Ein Aventinus Weizen-Doppelbock von Schneider Weisse.
Rodenbach Grand Cru, ein Belgian Sour Ale.

Rodenbach Grand Cru

Der Klassiker aus dem Hause Rodenbach ist ein Flanders Red-Brown Ale, das aus einem Verschnitt aus Jungbier (ein Drittel) und einem zwei Jahre in großen Holzfässern gereiften Bier (zwei Drittel) besteht. Frisch abgefüllt besticht das Grand Cru durch seine Melange aus fruchtig-frischen- und Holzfassaromen, erfrischender Säure und süßem Malzkörper. Aufgrund des Restzuckers aus dem Jungbier und seiner starken Säure eignet sich das Bier trotz seines relativ geringen Alkoholgehaltes von 6 Vol.-% bestens für die weitere Lagerung zu Hause. In den ersten zwei Jahren wird die Malzsüße geringer und das Bier saurer, nach vier bis sechs Jahren kommen wieder süße Aromen wie Toffee und getrocknete Früchte zum Tragen

Weiterführende Literatur:

Das umfassendste Buch zum Thema, auf das sich auch dieser Artikel wiederholt bezieht, stammt von Patrick Dawson und heißt »Vintage Beer. A Taster’s Guide to Brews That Improve over Time« (North Adams, 2014).