„Die Biervielfalt ist ein zartes Pflänzchen“

Interview mit Harry Mittermaier, Präsident der Bier IG Österreich

Die Bier IG wurde 2002 gegründet und zählt mittlerweile knapp 700 Mitglieder. Harry Mittermaier ist Gastronom, Biersommelier, Hobbybrauer und seit Ende Mai 2021 neuer Präsident der Bier IG Österreich. Im Interview berichtet der 40-Jährige, wie er zur Bier IG gestoßen ist, wie der Alltag als Präsident aussieht und welche Ziele sich der Verein für die kommenden Jahre gesteckt hat.

Herr Mittermaier, Sie sind seit Ende Mai Präsident der Bier IG Österreich. Wie sieht der Alltag als Vereinspräsident aus?

Nun ja, ich bin ja erst seit kurzem Präsident, aber zurzeit sind es vor allem Online-Konferenzen und Telefonate, die meine Zeit beanspruchen. Die vielen Konferenzen ziehen entsprechend viel Vor- und Nachbereitung mit sich, die dann zurzeit auch meinen Alltag als Präsident bestimmen. Unsere Treffen haben wir aufgrund von Corona viel effizienter hinbekommen als früher, weil alles digital stattfindet. Das ist bei einem österreichweiten Verein natürlich von Vorteil. Durch Corona hat das Thema Digitalisierung noch mal an Fahrt aufgenommen, da haben wir in der letzten Zeit nachgerüstet, zum Beispiel bei den Anmeldeformularen zur Staatsmeisterschaft.

Wann und warum sind Sie Mitglied der Bier IG geworden?

Durch einen Zufall. In Österreich gibt es zwei Mälzereien, die Stadlauer Malzfabrik und die Plohberger Malz GmbH in Grieskirchen in Oberösterreich. 2002 hat es noch nicht wirklich viele Quellen für HobbybrauerInnen gegeben, wo sie Rohstoffe und Braubedarf kaufen konnten. Ich bin also auf der Suche nach Malz zu Plohberger Malz gefahren und dort mit dem damaligen Seniorchef ins Gespräch gekommen. Ich war mir meiner Lästigkeit als kleiner Heimbrauer gar nicht bewusst und habe bei ihm dann jeweils 1-Kilogramm-Sackerl verschiedener Malze bestellt. Er hat mir geduldig alles zusammengestellt und dann gesagt: „Weißt du, in der Zeit, in der ich dir hier deine ganzen Spezialmalze abwiege, habe ich normalerweise einen ganzen Lastwagen befüllt. Aber ich mach’s trotzdem gerne, weil, wer weiß, in ein paar Jahren stehst du da und kaufst mir einen 50-Kilogramm-Sack ab.“ Er drückte mir dann die Erstausgabe der Bier-IG-Vereinszeitschrift in die Hand. Auf der Titelseite stand ganz groß: „Ja zur Biervielfalt – Nein zum Einheitsbier“. Neben der HobbybrauerInnenbewegung ist damals eine kritische BierkonsumentInnenbewegung entstanden und auch die Craft-Bier-Bewegung aus den USA ist zu uns gekommen. Ich habe mich in der Bier IG von Anfang an gut aufgehoben gefühlt.

Wofür setzt sich die Bier IG in Österreich ein?

Die Ansage heißt: Ja zur Biervielfalt. Da hat sich in den letzten 20 Jahren sicherlich enorm viel verbessert. Aber auch darüber hinaus setzen wir uns für die gute Sache ein: für Bierqualität, für die Qualität der Rohstoffe, für Transparenz bei Zutaten und Herstellungsverfahren, für den Erhalt der kleinen und mittelständischen Brauereien, für die HobbybrauerInnen und für die Mündigkeit der BiertrinkerInnen. Wir haben uns auf der letzten Hauptversammlung die Frage gestellt, ob es uns eigentlich noch braucht, nun, da die Biervielfalt erreicht ist und die BierkonsumentInnen mündiger geworden sind. Andererseits gibt es schon noch Problembereiche, an denen wir arbeiten können. Zum Beispiel gibt es in der Gastronomie noch einiges zu tun. Dort ist die Biervielfalt noch nicht überall angekommen. Auch besteht nach wie vor ein Stadt-Land-Gefälle – mit einer großen Auswahl in den Städten, aber nur wenig Vielfalt auf dem Land. Es gibt auch immer noch das Problem, dass Brauereien sich nicht trauen, angemessene Preise für ihre Biere zu verlangen beziehungsweise ein Teil der KonsumentInnen nicht bereit ist, angemessene Preise für hochwertige Biere zu bezahlen. Schließlich ist das Thema Biervielfalt auch ein sehr zartes Pflänzchen, um das man sich kümmern muss, damit es nicht wieder eingeht.

Die Mitglieder der Bier IG.
– Die Mitglieder der Bier IG verkosten und bewerten auf ihren Events Bier und pflegen den Austausch.– © Bier IG/Zoe Opratko

Wie erreicht die Bier IG diese Ziele?

Hauptsächlich durch Veranstaltungen. Unser größtes Event ist die Austrian Beer Challenge, die Staatsmeisterschaft der Brauereien und HeimbrauerInnen in Österreich, die wir jährlich organisieren. Dabei haben bei uns die Biere der HobbybrauerInnen den gleichen Stellenwert wie die der professionellen Brauereien, was sich auch in der Preisverleihung widerspiegelt. Wir hatten zuletzt rund 600 eingereichte Biere und 80 JurorInnen, darunter 30 internationale. Bis 2025 möchten wir 1.000 eingereichte Biere zählen und der heimischen Biervielfalt jene Bühne bieten, die sie verdient. Der erste Tag, an dem alle TeilnehmerInnen ihre Biere in gekühlter Form einreichen müssen, hat sich in den letzten Jahren immer mehr zum eigenen Event entwickelt. Viele nehmen eine weite Anreise und Mühe auf sich, damit das Bier gekühlt beim Wettbewerb eintrifft und das wollten wir dann auch entsprechend belohnen. So gab es an diesem Tag bereits Vorträge mit nationalen und internationalen RednerInnen, Schulungen und Seminare, eine Bier-Stadtführung mit dem Bierpapst Conrad Seidl und ein Bier-Roulette hier im Casino Baden.
Dann haben wir regionale Stammtische. Die wollen wir jetzt noch vermehrt beleben. Es hängt natürlich immer sehr von den einzelnen Personen in der Sektion ab, wie gut das funktioniert. Deshalb ist es auch ein großes Ziel von uns, die einzelnen Sektionen zu stärken und ein gewisses Vereinsleben in Form der regionalen Stammtische wieder aufleben zu lassen.
Eine ganz neue Veranstaltung ist der von uns initiierte Label Contest, der den oft so liebevoll kreierten Etiketten der HobbybrauerInnen Rechnung trägt. Die GewinnerInnen werden im Rahmen der Austrian Beer Challenge ausgestellt. Obwohl der Wettbewerb heuer zum ersten Mal stattfindet, haben wir sage

Gibt es das typische Bier-IG-Mitglied?

Wir vertreten die Interessen aller BierkonsumentInnen. Entsprechend gibt es nicht das typische Bier-IG-Mitglied. Jede Art von BierliebhaberIn ist bei uns vertreten. Viele Mitglieder sind HobbybrauerInnen. Es gibt zurzeit allerdings ein gewisses Altersgefälle, wir haben mehr ältere als jüngere Mitglieder. Deshalb wollen wir zukünftig vermehrt die jüngeren BiertrinkerInnen ansprechen und ihnen als Verein mehr bieten.

Wie kann man sich die Mitgliedschaft im Verein vorstellen?

Das hängt ganz davon ab, wie weit man sich einbringen möchte. Wir haben passive Mitglieder, die den Verein und seine Ziele unterstützen, aber selten an den Aktivitäten teilnehmen. Wenn man sich einbringen möchte, kann man das durch die Übernahme von Ämtern und Aufgaben tun oder aber einfach durch die Teilnahme an den einzelnen Veranstaltungen der Bier IG. Unsere regionalen Stammtische sind eine gute Möglichkeit, sich mit anderen BierliebhaberInnen auszutauschen. Wir bieten auch Schulungen zu Themen wie Bieraromen und -fehler an, es gibt ein Zapfseminar und verschiedenste Vorträge rund um das Thema Bier. Ab und zu bieten wir Ausflüge an und besuchen die Bierfestivals der anderen BierkonsumentInnenvereinigungen in Europa. Es kommt wirklich immer ganz darauf an, wie aktiv sich die jeweilige Sektion einbringt und was die einzelnen Mitglieder auf die Beine stellen wollen.

Wie steht es derzeit um den Einfluss der BierkonsumentInnen auf die Bierkultur in Österreich?

Das ist eine ewig fortwährende Diskussion. Je nachdem mit wem man spricht, fällt die Antwort höchst unterschiedlich aus. Zum einen fragen die KundInnen jetzt mehr nach. Nach spezifischen Sorten von Bier oder zumindest verschiedenen Sorten, aber auch Informationen zu den enthaltenen Rohstoffen und zu den BrauerInnen werden gewünscht. Es ist zum Beispiel bei uns in Baden mittlerweile völlig normal, dass es auf dem Feuerwehrfest neben dem obligatorischen Hellen auch noch ein Zwickel und ein bernsteinfarbenes Bier gibt. Andererseits hat mir gerade vor Kurzem ein Craft-Bier-Brauer berichtet, dass die KundInnen zwar schon verschiedene Bierstile kennen und auch wünschen, aber dass nach wie vor viele der Interessierten nicht bereit seien, für eine Flasche Bier zwei oder drei Euro zu bezahlen. Die KonsumentInnen sind es gewohnt, gut gemachte Biere bei den Diskontern zum Rabattpreis einzukaufen. Da können kleine Brauereien nicht mithalten. Das ist natürlich ein Problem, wenn die KundInnen zwar Biervielfalt und Qualität wünschen, aber dann nicht bereit sind, einen fairen Preis dafür zu bezahlen.

Wo sehen Sie in diesem Spannungsfeld die Aufgabe der Bier IG?

Unsere Aufgabe als KonsumentInnenvereinigung sehe ich darin, einerseits von den Brauereien Qualität und Transparenz zu verlangen und andererseits den KonsumentInnen die Qualität auch zu vermitteln und aufzuzeigen, warum eine kleine Brauerei, die gute, besondere Biere in kleinen Mengen braut, notwendigerweise einen höheren Preis für ihre Biere verlangen muss als eine große Brauerei. Gleichzeitig gilt es zu vermitteln, dass die kleinen Brauereien einen größeren Kreativitätsspielraum haben als die großen Brauereien und gerade deswegen enorm zur Biervielfalt beitragen.

Was sind die größten Erfolge, die die Bier IG bislang erzielt hat?

Viele Erfolge sind schwierig zu messen und man kann sie nicht allein der Bier IG zusprechen. Die Biervielfalt heute im Vergleich zu vor 20 Jahren ist zum Beispiel so ein Erfolg, zu dem wir als Verein beigetragen haben. Es ist eine tolle Entwicklung, dass auch die großen Brauereien das Thema Biervielfalt aufgenommen haben. Die Renaissance des Wiener Lagers, des Inbegriffs des Bierlandes Österreich, ist da ein schönes Beispiel. Durch das gebündelte Interesse der KonsumentInnen wird es wieder in Österreich gebraut. Ich würde sogar sagen, dass die besten Vertreter dieses Stils mittlerweile wieder aus Österreich kommen. Ein besser messbarer Erfolg ist die Ausrichtung und Etablierung der Austrian Beer Challenge als ein bei HobbybrauerInnen, kommerziellen Brauereien und KonsumentInnen angesehener nationaler Bierwettbewerb. Auch, dass wir es geschafft haben, den Wettbewerb bei unserer europäischen Dachorganisation, der EBCU, akkreditieren zu lassen, ist ein riesiger Erfolg für den Verein, da die EBCU sehr strenge Vorgaben an eine Anerkennung knüpft.

Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Zeit als Präsident gesteckt?

Für das kommende Jahr haben wir uns als Vorstand zwei Ziele gesteckt: Zum einen wollen wir die Austrian Beer Challenge weiter professionalisieren. Zum anderen wollen wir die einzelnen Sektionen wiederbeleben. Es gibt viele tolle Ideen von einzelnen Mitgliedern, die bisher aber aus verschiedensten Gründen nicht umgesetzt wurden. Wir sehen als Vorstand unsere Aufgabe darin, die einzelnen Sektionen bei der Umsetzung der Ideen zu unterstützen. Wir hoffen auf einen Schneeballeffekt, sodass dann in Zukunft im ganzen Land regelmäßig Events – von Verkostungsveranstaltungen bis hin zum nächtlichen Mondscheinbrauen – stattfinden.
Mittelfristig wollen wir auch die Anzahl der Mitglieder erhöhen. Bei den rund 700 aktuellen Mitgliedern stagnieren wir nun schon lange. Abgesehen von der Staatsmeisterschaft ist es in den vergangenen Jahren relativ ruhig um den Verein gewesen. Ich bin nun seit Ende Mai 2021 Präsident und gemeinsam mit dem fast zehnköpfigen Vorstand möchte ich nicht nur die Anzahl der eingereichten Biere bei der Staatsmeisterschaft auf über 1.000 erhöhen, sondern auch die Anzahl der Mitglieder des Vereins. Wir haben derzeit mit lediglich 29 eine noch recht überschaubare Anzahl an weiblichen Mitgliedern. Auch da gibt es Aufholbedarf. Zumindest haben wir im Vorstand eine Vertreterin, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Geografisch ist der Westen Österreichs, der so viele tolle Brauereien hat, bisher bei uns im Verein unterrepräsentiert. Hier ist unser Bestreben, den BiertrinkerInnen in Tirol und Vorarlberg den Verein näherzubringen, sodass dann hoffentlich auch dort schon bald Stammtische stattfinden werden.
Wir haben unser Ziel erst dann erreicht, wenn der Gast in einer Gastwirtschaft ganz selbstverständlich ein bestimmtes Bier oder eine bestimmte Sorte Bier bestellt und nicht mehr nur ein Bier. Oder aber wenn er zumindest mit der Frage rechnet, „Was für ein Bier wollen Sie denn? Wir haben fünf verschiedene Biere im Ausschank«. Wie schon gesagt, die Biervielfalt ist ein zartes Pflänzchen, das alle BierkonsumentInnen gemeinsam pflegen sollten.

Harry Mittermaier bei einem Workshop der Bier IG.
– Harry Mittermaier bei einem Workshop der Bier IG. – © Bier IG/Zoe Opratko

Was ist die Bier IG?
Die Bier IG ist die Interessengemeinschaft der österreichischen BierkonsumentInnen. Der Verein ist unabhängig und wird nicht von Brauereien oder anderen Organisationen kontrolliert.

Weitere Infos und Kontakt zur Bier IG
Website: www.bierig.org
Mitgliedsbeitrag: € 30 pro Jahr
Für Interessierte sind die regionalen Stammtische gut geeignet, den Verein und seine Aktivitäten kennenzulernen.