Alkoholfrei? Längst kein Kompromiss mehr

Tom Mauer von Brew Age präsentiert ein alkoholfreies IPA.

Der Trend zum bewussteren Lebensstil geht auch am Biermarkt nicht vorüber. Alkoholfreies Bier ist jedenfalls nicht mehr nur aus Gründen der Verkehrstüchtigkeit ein Thema. Qualität und Vielfalt helfen mit.

Es sind Zahlen, die Bände sprechen: In den letzten zehn Jahren hat sich der Inlandsabsatz von
alkoholfreiem Bier in Österreich mehr als verdoppelt, verrät eine Statistik des Brauereiverbandes.
Mit 258.700 Hektolitern und 3,1 Prozent Anteil am heimischen Biermarkt im Jahr 2020 ist es zwar
nach wie vor ein Nischenthema, aber eines, das mehr und mehr Aufmerksamkeit bekommt –
seitens der KonsumentInnen, aber auch seitens der Brauereien.
»Die zunehmende Bedeutung eines gesunden Lebensstils mit Sport und bewussterem
Alkoholkonsum sorgt seit einigen Jahren für eine deutlich gesteigerte Nachfrage nach alkoholfreien
Getränken«, bestätigt Christian Pöpperl, Chefbraumeister bei Stiegl. Der Trend habe
europaweit zu einem wachsenden Markt geführt. Mit dem Freibier und der Sport-Weisse ist die
Salzburger Brauerei am Markt für alkoholfreies Bier schon länger gut aufgestellt. Seit Anfang Mai
sind nun auch das 0,0 % Freibier und ein Radler namens 0,0 % Zitrone von Stiegl erhältlich.
Pöpperl: »Dafür haben wir in eine neue, topmoderne Anlage investiert, mit der wir absolut
alkoholfreie Biere und Biermischgetränke herstellen können, die vor allem auch unseren hohen
Qualitätsansprüchen gerecht werden.«
In diesem Zusammenhang sollte man wissen, dass im deutschsprachigen Raum Biere mit einem
Alkoholgehalt von bis zu 0,5 Vol.-% unter der Bezeichnung »alkoholfrei« verkauft werden dürfen.
Genau genommen, sind viele der sogenannten Alkoholfreien also lediglich alkoholarm.

Stiegl-Chefbraumeister Christian Pöpperl. ©Neumayer/ Christian Leopold

Zwei Optionen mit Tücken

»Wir haben viel getestet und herumexperimentiert. Man kann bei IPAs die klassischen
süßlichen Noten der gestoppten Gärung durch eine schöne Hopfendosage mit Frucht- und Zitrusaromen
überlagern.«

Tom Mauer, Brew Age

Aber wie wird alkoholfreies – oder eben alkoholarmes – Bier eigentlich hergestellt? Im
Wesentlichen gibt es zwei Verfahren: Man kann den Gärprozess durch Erhitzung stoppen, um zu
unterbinden, dass die Hefe den Malzzucker mehr als über die erlaubten 0,5 % hinaus in Alkohol
umwandelt. Oder man schickt das Bier durch eine Entalkoholisierungsanlage.
Beide Optionen benötigen eher teure Gerätschaften und beide haben ihre Tücken, wie Tom Mauer
von Brew Age erklärt: »Die gestoppte Gärung erzeugt einen ganz eigenen Geschmack, mit so
einer leichten Süße. Manche mögen das nicht. Und der Kritikpunkt beim entalkoholisierten Bier
ist, dass es leer schmeckt. Da heißt es, es werde dem Bier mit dem Alkohol auch die Seele
genommen.«
Mit der Rampensau hat die Wiener Craft-Brauerei vor einem Jahr ein alkoholfreies Bier auf den
Markt gebracht, das mittlerweile für immerhin sieben Prozent des Brew-Age-Gesamtausstoßes
verantwortlich ist. »Alkoholfrei war immer wieder Thema bei uns«, erinnert sich Mauer. »Wir haben
viel getestet und herumexperimentiert. Es war aber klar, dass es ein IPA werden würde, da wir für
IPAs bekannt sind. Außerdem kann man gerade bei diesen die klassischen süßlichen Noten der
gestoppten Gärung durch eine schöne Hopfendosage mit Frucht- und Zitrusaromen überlagern.«
Dass man den Hopfen als Geschmacks- und Aromengeber nicht unterschätzen dürfe, findet auch
Birgit Rieber vom Institut für Bierkultur, das Beerkeeper-Kurse für Gastronomiepersonal anbietet.
Alkoholfreie Pale Ales und IPAs hätten daher geschmackliche Vorteile: »Die Kalthopfung
›parfümiert‹ gut.« Der Klassiker alkoholfreies Weizenbier, ebenfalls ein obergäriger Bierstil,
profitiere hingegen davon, so Rieber, dass die Hefe mit ihren Gärungsnebenprodukten den
fehlenden Alkohol als Geschmacksträger ein wenig ausgleicht: »Alkoholfreie Weißbiere sind den
›echten‹ Bieren deshalb sensorisch viel näher als die untergärigen Lagerbiere.«

— Birgit Rieber vom Institut für Bierkultur. — ©Beerkeeper

Bierbar ohne Alkohol

Der Körper eines Bieres sei immer eine Herausforderung, meinen die schottischen Craft-Bier-
Pioniere James Watt und Martin Dickie, die mit Brew Dog ihr eigenes Bierimperium aufgebaut
haben. Bei einigen ihrer Alkoholfreien setzen sie deshalb auf Laktose, um das Mundgefühl stärker
auszubauen. Dass den beiden nicht nur in Sachen Bier kaum jemand das Wasser reichen kann,
sondern auch was das Marketing betrifft, bewiesen sie im Vorjahr wieder einmal, als sie in London
die (eigenen Angaben zufolge) erste alkoholfreie Bierbar der Welt mit satten 15 Zapfhähnen
eröffneten. Mit Nanny State haben Watt und Dickie seit einem Jahrzehnt ein alkoholfreies Bier in
ihrem Sortiment: »Es ist ein ganz besonderes Bier für uns, weil es eines der ersten alkoholfreien
Craft-Biere in Großbritannien war.« Seit damals haben sie ihr Angebot in diesem Segment noch
weiter ausgebaut und alkoholfreie Versionen von einigen der populärsten Brew-Dog-Biere
umgesetzt, etwa das an den Klassiker Punk IPA angelehnte Punk AF. Wobei die Abkürzung AF
nicht nur als alcohol-free, sondern umgangssprachlich auch als as fuck gelesen werden kann.
Vielfalt im Segment der alkoholfreien Biere sei für sie absolut essenziell, meinen Watt und Dickie:
»Wenn sich Menschen dafür entscheiden, weniger oder gar keinen Alkohol mehr zu trinken,
können wir sie so dabei unterstützen und sicherstellen, dass sie nicht auf großartige Biere
verzichten müssen.«
Von zunehmender Vielfalt weiß auch Markus Betz als Geschäftsführer des größten Craft-Bier-
Stores Österreichs zu berichten: »Als wir 2015 mit Beerlovers gestartet sind, gab es eine Handvoll
alkoholfreier Craft-Biere, mittlerweile haben wir einige Dutzend im Sortiment. Es gibt eine breite
Sortenvielfalt – und auch Innovationen kommen nicht zu kurz.«

— Craft-Bier-Pioniere James Watt und Martin Dickie von Brew Dog. — ©Brewdog

Kein Kompromiss

»Man muss sich nicht mehr dazu ›zwingen‹, sondern greift gezielt und ohne Vorurteil zu
alkoholfreiem Bier.«

Markus Betz, Beerlovers

Waren es früher vor allem Menschen, die noch mit dem Auto fahren mussten, so scheint es
heutzutage die eine typische Zielgruppe für alkoholfreies Bier nicht mehr zu geben. Die
KonsumentInnen seien mündiger als früher, so Betz, und würden ihre Entscheidungen anhand
verschiedener Parameter treffen. Einer davon sei bewussterer Genuss. »Dadurch dass sich das
Thema alkoholfreies Bier in den letzten Jahren – in der Breite – so gut entwickelt hat, gibt es den
›klassischen‹ Kunden dafür nicht mehr. Durch die enorme Sorten- und Stilvielfalt ist wirklich für
jeden Geschmack, Anlass und jede Gelegenheit das richtige Bier ohne Alkohol verfügbar.«
Alkoholfrei sei deshalb auch längst kein Kompromiss mehr: »Man muss sich nicht mehr dazu
›zwingen‹, sondern greift gezielt und ohne Vorurteil zu alkoholfreiem Bier. Das ist schon besonders
– verglichen mit der Situation vor fünf oder zehn Jahren.«

— Alkoholfreies aus dem heimischen Craft-Bier-Segment: das Jakobsgold alkoholfrei vom Brauhaus Gusswerk, das FreePA von Loncium und das IPA Rampensau von Brew Age. — ©Gusswerk, Loncium und Brew Age